Kerstin Stier ist von einer Erkrankung betroffen, die das Leben komplett verändert. Die Bibliserin leidet an einem Lipödem. Weil diese Krankheit auch nur schwer zu behandeln ist, gründet sie jetzt eine Selbsthilfegruppe


16.07.2024 • VON GÖTZ LAMBERT

Kerstin Stier neben der Gummernfraa am Rathaus. Die Bibliserin gründet eine Selbsthilfegruppe für Frauen mit Lipödem. © BERNO NIX
Kerstin Stier neben der Gummernfraa am Rathaus. Die Bibliserin gründet eine Selbsthilfegruppe für Frauen mit Lipödem. © BERNO NIX

Biblis. Jede zehnte Frau ist von dieser Krankheit betroffen. Sie verändert ihr Leben radikal und führt oft dazu, dass sich die Patientinnen immer mehr zurückziehen und vom Umfeld unbeachtet ihr Leiden ertragen. Das Schlimme ist nämlich, dass die Frauen mit ihrer Krankheit auf geradezu null Toleranz in der Gesellschaft stoßen. Hinzu kommt noch, dass es keine messbaren Diagnosekriterien für ihr Leiden gibt, also Ärzte und Krankenkassen die Krankheit oft nicht erkennen und ignorieren. Die betroffenen Personen haben ein Lipödem oder Lymphödem. In manchen Fällen sind auch beide Krankheiten ausgeprägt.

Über das Schicksal der Patientinnen, die vielfältigen Leiden der Frauen, vor allem aber über die Lücken in der Versorgung und über probate Methoden zur Verbesserung der Lebensqualität möchte zukünftig eine Selbsthilfegruppe in Biblis informieren. Ziel ist es, für die Krankheit zu sensibilisieren und Akzeptanz in der Gesellschaft zu erreichen. Die Initiatorin der Selbsthilfegruppe, Kerstin Stier aus Biblis, möchte zudem Ansprechpartnerin für Betroffene sein und wichtige Tipps im Umgang mit der Krankheit geben.

Welche Auswirkungen hat die Krankheit für die Betroffenen? Kerstin Stier schildert den Alltag einer Lipödem-Kranken. Es ist eine täglich wiederkehrende Tortur. Unzählige Stunden gingen pro Woche dafür drauf, dass man am Leben teilnehmen könne, betont die Bibliserin. Sie spreche nicht immer offen über ihr Leiden, „manchmal kommuniziere ich meine Krankheit, manchmal aber auch nicht“.

Zurück zum Alltag: Viel Zeit benötigen die Kranken, um die Flachstrickkompression (Strümpfe, Hosen, Jacke) anzuziehen. Hautpflege, Lymph-Drainage und eine spezielle entzündungsarme Ernährung sind weitere Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Im Sommer ist es besonders schlimm. Die betroffenen Frauen schwitzen in ihrer Kompressionsrüstung. An eine kühlende Dusche tagsüber ist nicht zu denken, anschließend lässt sich die Kompression nicht mehr anziehen.

Die Einschränkungen und damit eine enorme Reduzierung der Lebensqualität setzen sich in der Freizeit fort: Während andere Menschen den Feierabend an einem lauen Sommertag auf der Terrasse verbringen, verkriechen sich die betroffenen Frauen ins klimatisierte Innere der Wohnung. Ein Spaziergang im Sonnenschein: ein Ding der Unmöglichkeit.

Betroffene hoffte auf Besserung durch Magenverkleinerung

Kerstin Stier war schon als Kind „sehr kräftig an Beinen und Po“. Die Bibliserin versuchte, mit Diäten und Sport das Problem zu lösen - ohne Erfolg. Die Gewichtszunahme bedeutete für sie eine enorme Belastung. Bei Kerstin Stier beruhte die Diagnose auf einem Zufall. Für ein Gutachten für die Krankenkasse, um eine Straffung der Oberschenkel und Arme zu erhalten, landete sie bei einem Spezialisten in Darmstadt, der im Jahre 2021 die Diagnose stellte. Davor hatte sich Kerstin Stier sogar den Magen verkleinern lassen in der Hoffnung auf eine Gewichtsreduktion.

Allerdings gibt es nur wenige ausgebildete Fachärzte. In der Regel bleibt es bei konservativen Therapiemethoden und Lymphdrainage. Operationen, bei denen Fett abgesaugt wird, zahlen die Krankenkassen nur zum Teil und zeitlich befristet in einer Übergangsregelung - jedoch nur für das höchste Stadium III der Erkrankung. Für Kerstin Stier steht in diesem Jahr eine derartige Operation an.

Quelle: Mannheimer Morgen